Samstag, 24. September 2011

Von wollüstigen Erasmusstudenten und dicken Handtaschenglotzern


Gestern war ich auf der ersten Erasmus-Party meines Lebens. Bis 24 Uhr, so wurde versprochen, sei der Eintritt frei. Danach kostet es 15 Euro. Komisch, dachte ich. Niemand wird doch so beschränkt sein, und seine Unpünktlichkeit mit 15 Euro bezahlen. 
Die Truppe der Malaquais-Hochschule traf sich 21.30 Uhr vor dem großen Bahnhof unweit vom Club. Alle hatten etwas zu trinken mitgebracht. Außer mir. Doch ich profitierte von den herumgehenden Flaschen diverser unbekannter Inhalte. Ich war schnell angeheitert. Mich machte aber stutzig, dass sich niemand anstellte. Auf meine Nachfrage reichten meine Architekten-Kollegen aber lediglich die nächste Flasche weiter und prosteten mir in den unterschiedlichen Sprachen zu. Der Platz um uns herum füllte sich langsam mit Menschen.
Schlag halb zwölf öffnete die Tür des Clubs, von einem Moment auf den anderen standen diese vier-fünfhundert Leute plötzlich in einer Schlange, die sich wie eine Ameisenstraße über den großen Bahnhofsvorplatz zog. Daher weht also der Wind. Die großzügige Willkommensgeste des Clubbetreibers für arme Studenten entpuppte sich als gemeines Spiel mit der Angst um 15 Euro plus oder minus. 

Ich stand mittendrin in der hin- und herwogenden Schlange. An der Spitze domoptierten glatzköpfige, muskulöse, dunkelhäutige Männer in schwarzen Lederjacken und schauten wie Gangster drein. Vor uns standen noch ungefähr 50 Leute. Ich drehte mich zu der großen Bahnhofsuhr um, die noch anderthalb Minuten bis Mitternacht anzeigte. Alle hatten besorgte Gesichter und die 15-Euro im Kopf, die genau die Schmerzgrenze sind, bei der man sich zähneknirschend überlegt. "Bezahle ich oder gehe ich?"

Es gab bis zur Tanzfläche noch drei Schleusen, an denen große Wärter standen, die über Jubel oder  Enttäuschung, über Rein oder Raus entscheiden durften. Den besten Job hatte wahrscheinlich der kleine dicke Typ kurz hinter der Garderobe, der allen Frauen in der Handtasche rumwühlen durfte. Er sah aus, als wenn er Spaß dabei hatte. Diese Situation hatte einen besonders absurden, exhibitionistischen Charakter. Denn es ging die Treppe hinunter und alle, die dahinter warteten, konnten gleich mit in die Handtaschen schauen. Ich weiß nicht, ob ich das als Frau wollen würde.

Und dann waren wir drin. Gratis zum Glück. Der Saal brummte.
Da waren sie, die Massen hormongesteuerter, junger, wilder Kosmopoliten. Die gesamte Austauschstudentenschaft der französischen Hauptstadt in einer Großraumdisko.
Ich erkämpfte mir mein erstes Bier an der Bar. Wow, eine Dose und tatsächlich 0,33 Liter Inhalt für nur fünf Euro. Naja, es hätte auch teurer sein können. Nichts im Vergleich zu den zwei kleinen Becks die ich mal während eines Urlaubs in Florenz bestellt hatte. Ich hatte zehn Euro gegeben und war darauf gespannt, was ich zurück bekomme. "No-No, Sixteen please", meinte der Barmann damals. 

Ich komme jetzt nicht mehr darum herum, hinzuzufügen, dass ich zwar ein regulärer Student bin, jedoch auffällig spät angefangen habe, zu studieren. Ich bin mit 39 Jahren in der Berliner Uni nicht der Älteste meines Semesters. In Frankreich jedoch ist es absolut undenkbar, wenn nicht sogar verpönt, es jenseits der 25 zu wagen, womöglich noch Mal etwas anderes machen zu wollen. Die Verkehrsgesellschaft zum Beispiel, die hier S- und U-Bahn betreibt,  weigerte sich, mir eine Vergünstigung zu geben, weil ich schon älter als 26 Jahre bin. Deshalb bin ich auch mit gemischten Gefühlen in dieses Austauschjahr gefahren. Und ich habe schon die verwunderten Gesichter zwanzigjähriger Französinnen vorausgesehen, die sich tuschelnd darüber lustig machen, ob ich der neue Proff bin.

Das Gute an meinem Alter: Der gestrige Abend bescherte mir auf sonderbare Weise einen Rückblick in die Vergangenheit. Ich stellte fest, dass sich kaum etwas verändert hat im Vergleich zu meiner Diskozeit. Was mir jedoch besonders auffiel, waren die Tanz-Podeste. Die Menge drängelte sich darum, einmal oben zu tanzen. Jeder, der da oben Platz fand, war plötzlich Discostar. Und das heißt nicht einfach nur tanzen. Nein, das bedeutet, man muss (als Frau) wollüstig die Hüften wiegen und reiben, die Lippen so schmollig wie möglich schürzen und die Augen auf und niederschlagen als wenn es Überzeugungsarbeit zu leisten gilt. Und als Mann, nun ja, das war einfacher und auch schon früher so: Einfach nur so cool wie möglich tanzen und dabei die Lage checken.

Zwei wichtige Fragen stellte ich mir. Erstens: Ob ich als 20jähriger auch solch ein Paarungsveralten an den Tag gelegt habe. Und zweitens: Wie man nach solch einer Musik nur tanzen kann. Ein Bier später war ich mitten drin und tanzte mit. Keine Ahnung, wie die Bands hießen. Es war Musik, bei der ich zuhause genervt das Radio ausdrehe. Aber ich musste mir das einfach geben. Unsere kleine Gruppe von Architekturstudenten der Malaquais hatte viel Spaß. Bis halb fünf. Auf eine Tanzeinlage auf einem der Podeste habe ich verzichtet. Obwohl ich darum gebeten wurde. Beim nächsten Mal vielleicht.  

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