Sonntag, 29. April 2012

Dies und das im Vergleich


Gerade habe ich mich an Paris gewöhnt, kann man sagen, da hat mich Berlin wieder gepackt.
Ich komme gerade aus den Osterferien zurück, die ich in Berlin verbrachte. Ich saß am Helmholtzplatz in einem Café und fühlte mich wie im Griechenland-Urlaub (mal abgesehen davon, dass es vielleicht dort aktuell nicht so entspannt zugeht). Es war eine Stimmung, die mich an Weltfrieden glauben ließ. Das Licht der Abendsonne, die Luft, das Vogelgezwitscher in der verkehrsberuhigten Zone, alle Leute waren irgendwie so gelöst. Ich konnte in diesem Moment kaum glauben, dass im europäischen Vergleich ausgerechnet Deutschland am wenigsten von der Krise geschüttelt sein soll, wo doch alle so lari-fari vor sich hinexistieren. Ich glaube, am Sonnabend am Helmi hatte ich zum ersten Mal nach acht Monaten wieder dieses Gefühl von Abschaltenkönnen. 
Einen Platz mit dieser Art von Freiheit habe ich in Paris noch nicht gefunden. Dennoch: Vor etwa  drei Wochen habe ich zum ersten Mal daran gedacht, dass ich auch traurig sein werde, wieder aus Paris weg zu gehen. Es lässt sich schwer beschreiben, was diese Stadt so ausmacht. Bei Berlin ist es einfacher. Berlin ist relaxed. Es gibt genügend Platz und Grün. Alle sind so locker, und leben in den Tag hinein. Wenn ich im Mauerpark bin, frage ich mich zum Beispiel, ob überhaupt jemand von den tausenden Leuten es nötig hat, einer ernsthaften Beschäftigung nachzugehen. 
Von Entspanntheit kann man in Paris nicht wirklich reden. Wer ans Ziel kommen will, muss drängeln. Wer überleben will, muss ruhig bleiben. Wer ruhig bleiben will, muss ignorieren. Wer sich über Ignoranten aufregt, stirbt hier den frühen Herztod. Also: Ruhig bleiben, bestimmte Sachen ausblenden. Zum Beispiel meine Nachbarn, die ich öfter mal (wie auch jetzt) ausblenden muss. Nach meiner Ankunft heute vormittag habe ich noch die letzten zwanzig Minuten des wöchentlichen Familiendramas mitbekommen. Die Sparsamkeit der Wandstärke und die Streitkultur der Familie lässt mich praktisch mit am Tisch sitzen. Wenn diese Leute sich nicht anschreien, gibt es laute Musik. Oder beides. Als ich hier eingezogen bin, war ich noch motiviert, auf mein Recht zu pochen. Mein Recht, ja schließlich auch hier zu leben und auf meine Ruhe. Heute kann ich mir selig lächelnd die Kopfhörer überstülpen und denken: Was raus muss, muss raus!

Was das Entspannen angeht, empehle ich zwei Plätze: Den Bois de Boulogne im Westen der Stadt und den Jardin du Luxembourg ziemlich zentral gelegen. Beides schöne Parks, aber zu klein für die Menge an Parisern. Wenn die Sonne rauskommt reisen die Massen in Scharen an und entdecken plötzlich ihr Herz für den Sport. Die Wohlsituierten streiten sich in ihren dunklen Geländewagen um die Parkplätze, damit sie nicht so weit zum Jogging laufen müssen. Sportleggins in allen Farben säumen die Seen.
Und im Jardin du Luxembourg muss man mit hunderten Anderen Jagd auf einen der metallenen Stühle machen, damit man Entspannung leben kann. Ich beobachte dann, dass einige am besten entspannen, wenn sie drei Stühle okkupiert haben, zum Ablegen der Beine und der Louis-Vuitton-Tasche, während andere kopfkratzend nach einer bescheidenen Sitzgelegenheit suchen.
Dennoch: Paris hat auch etwas Liebenswertes, das man in Berlin nicht findet. Man kann der Hektik in der Tat etwas Gutes abgewinnen. Das macht die Seele der Stadt aus. Ein so aufregendes Gewimmel an einer Umsteige-Metrostation ist jedes Mal wie ein Natur-Schauspiel.  Ich habe noch nie zwei Menschenmengen über Kreuz reibungslos durcheinander hindurch laufen sehen. Ein heilloses Durcheinander, das funktioniert. Dieses Ereignis wurde in noch keinem Reiseführer erwähnt. Also mach ich es: Metro-Station Les Halles gegen 18 Uhr. 
 Es gibt außerdem mehr Internationalität in der Stadt, mehr Farben, mehr Sprachen und niemand achtet auf die Lautstärke, mit der er spricht. Das ist wahrhaft metropol. Selbst die Ignoranz hat etwas bewundernswertes, denn sie ermöglicht es überhaupt erst den Parisern, ihren Käse, ihren Wein oder ihren Kaffee zu genießen. 
Ich wage außerdem zu behaupten, dass sich die Menschen hier, ob Mann oder Frau, schicker kleiden. Nichts gegen den etwas punkigen Berlin-Style. Neulich sagte mir jemand, dass man den Deutschen im Ausland immer an seinen praktischen Schuhen und seiner Jack-Wolfskin-Jacke erkennt. Ich habe mal drauf geachtet. Jack Wolfskin oder North-Face. Hauptsache praktisch. Ich persönlich habe beim Shoppen in Berlin immer das Gefühl, in eine Schublade mit vielen anderen Leuten zu passen. Und wenn man was Besonderes haben will, muss man tief in die Tasche langen. Mein Lieblings-Jackett habe ich hier auf dem Flohmarkt für 12 Euro erstanden. In Berlin in der Kastanienallee habe ich vergangene Woche ein ähnliches für 237 Euro gesehen. Frage: Wer will mit mir in Berlin ein Pariser Modegeschäft aufmachen? Ich würde das Reisen übernehmen.