oder:
Meine Abrechnung mit französischen Dentisten
Meine Abrechnung mit französischen Dentisten
Ein langes, grausliches Kapitel ist zu Ende.
Nein, ich meine nicht die Regentschaft von Nicolas Sarkozy. Aber ungefähr genau so unangenehm. Ich habe gerade die Rechnung über den Eigenanteil meiner Zahnkrone
bekommen. 420 Euro. Das knallt rein. Besonders, wenn man Student in Paris ist,
wo einem sowieso schon das Geld aus der Tasche gezogen wird, wenn man nicht
aufpasst.
Dieser Zahn. Ich fang mal von vorne an:
Ich war zehn Jahre alt, als ich mir beim Judo mit meinem eigenen Knie den
halben Schneidezahn weggekickt habe. Das war eine Tragödie für einen Jungen,
der bald in die Pubertät kommt. Denn die Zahnersatzkosmetik war zu DDR-Zeiten
nicht die fortgeschrittenste. Und so hatte ich immer einen komischen
Fremdkörper im Mund. Da wo andere Leute ein lupenreines Lachen vorweisen
konnten, hatte ich einen graugelben Fleck.
Der geniale Künstler |
Die Kronen, die ich im Laufe der Zeit
hatte, wurden zum Glück immer unauffälliger. Vor
einigen Jahren setzte meine Zahnärztin in Kooperation mit einem sehr guten Zahntechniker
meinem Zahnkomplex schließlich einen Schlussstrich. Dieser Künstler gestaltete
einen wunderbaren Schneidezahn aus Keramik, der sogar Schattierungen und Aufhellungen
der Nachbarzähne enthielt. Ich war so glücklich.
Bis zu dem verregneten Freitag im
Dezember, als ich hier in Paris, Kaugummi kauend von der Hochschule zur Metro
ging. Da machte es Knack im Mund und ich verspürte dieses unangenehme Gefühl,
dass sich an meinem Schneidezahn etwas gelöst hatte. Warum jetzt? Warum hier?
Ich suchte am nächsten Tag eine Pariser
Notfallpraxis auf. Ich konnte ja nicht wochenlang auf einen Termin wartend mit
einem Loch im Mund herum laufen. Zumal Prüfungen vor der Tür standen. Und ich
wollte unbedingt die Situation vermeiden, dass ich mein Projekt präsentiere, und
mir alle auf den Mund starren?
Mein erster Weg führte mich in eine
schicke Praxis in St. Michel mit riesigem Empfangs-Tresen und einem Dutzend
Kabinetten. Die Röntgenaufnahme war Pflicht und kostete 90 Euro. Das
Wiederankleben der Krone hingegen nur 25 Euro. "Sie müssen jetzt aber
aufpassen beim Beißen", sagte die Ärztin. Ich kam mir vor wie mein eigener
Opa, war aber froh. Nicht lange. Drei Wochen später - Knack - stand ich wieder
in der Praxis. Diesmal nahmen sie besseren Kleber. Der geschniegelte, junge
Zahnarzt konnte zwar nett lächeln. Und es war auch kostenlos wegen der
Garantie. Doch nach wenigen Wochen - Knack - das selbe. Abermals legte ich die halbe Krone auf den Tresen. Der arrogante Empfangschef, der es wahrscheinlich nicht
geschafft hatte zum Dentisten, ließ mich diesmal allerdings abblitzen. Er
meinte, dass sie nicht das richtige Material hätten. Ich müsse jetzt woanders
hingehen. Ich konnte ihm ansehen, dass er lügt. Er hat erkannt, dass sie mich
nicht weiter ausbeuten können, weil ich immer wieder als Garantiefall kommen
würde.
Die nächste Klinik in der Nähe von St.
Lazare war durchgestylt wie ein Design-Kaufhaus. In der Eingangshalle: Eine
Monitorwand, größer als die von Montgomery Burns. "Das kostet hundert Euro und wir übernehmen keine Garantie", sprach die Empfangsdame. Ich akzeptierte. Über den Behandlungsstühlen waren waagerecht Bildschirme angebracht, die (wahrscheinlich zur Beruhigung) Naturfilme zeigten. Ich sah ein Walross, das einen Pinguin zerfleischte, während die Ärztin mit ihrem
Fingern in meinem Mund wartete, bis der Kleber trocknet. Dafür hat es auch etwas länger gehalten.
Bis zu dem Tag im Skiurlaub, den ich mit
Studenten meiner Uni verbrachte. Voilà. Da war es wieder. Abends beim
gemütlichen Zusammensein verspürte ich wieder das Gefühl mit der Zungenspitze,
dass etwas lose ist, was eigentlich fest sein sollte.
Meine Güte. Die Menschheit schleudert Satelliten ins Weltall, die
Jahrzehnte lang Informationen aus den letzten Winkeln des Universums senden.
Aber sie soll es nicht schaffen, so ein Stück Keramik anzukleben? Ich traf zwei
Entscheidungen: 1. Sekundenkleber kaufen und selbst machen. 2. Meine Zahnärztin
Frau Meese in Berlin anrufen, hinreisen, machen lassen. Frau Meese verbot mir
den Sekundekleber und so lief ich die folgenden Tage im Skiurlaub mit einer
Unterschichten-Zahnlücke rum.
Dann wollte ich nach Berlin fliegen. Ich wollte. Ich hatte kein Internet im
Ski-Urlaub. Also bat ich eine Bekannte darum, mir den Flug zu buchen. Ich sag
nicht, wer es war. Nur so viel: Sie hat es verkackt.
An die Fahrt zum Flughafen
will ich gar nicht denken. Denn vor sechs Uhr fahren nur Nachtbusse. Eine
Umsteige-Orgie, die schließlich damit endete, dass ich um 5.30 Uhr am Gare de
Lyon herum rannte und erfolglos nach einem Flughafenzubringer suchte. Jeder sagte etwas anderes. Manche gar nichts. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen Penner
mit Zahnlücke. Also Taxi. Noch Mal 30 Euro weg - aber ich war pünktlich am Airport. Der Typ hinterm Check-In-Schalter von Easyjet
schaute verdutzt. Erst auf meinen Ausweis, dann auf seinen Bildschirm, dann auf
meinen Ausweis, dann auf seinen Bildschirm. "Einen Passagier mit diesem
Namen haben wir nicht!"
Meine Bekannte hatte zwar meinen Vornamen -
jedoch ihren Nachnamen bei der Buchung im Internet angegeben. Ich versuchte
noch alles mögliche, vom Betteln bis zum Fluchen, bei drei verschiedenen
Easyjet-Angestellten. Ich prallte ab, wie ein Flummy auf Panzerglas. Ich konnte
noch nicht Mal meinen Flug neu zu erwerben. Der Platz hätte ja jetzt frei sein
müssen. "Leider schon verkauft", sagte der Easyjetter.
Schließlich saß ich auf einer Bank und
sah den übrigen Fluggästen beim Einchecken zu. Mit gepacktem Koffer, einem 240
Euro teuren, ungültigen Ticket und einer Zahnlücke. Liebes Leben, danke -
für all deine Gaben.
Ich bekam ein paar Tage später einen
Termin in Paris bei einer "richtigen" Zahnärztin, die aus Schweden
stammt. Sie hat es geschafft, die Krone vernünftig zu befestigen. Wenigstens so
lange bis ich wieder Zeit hatte, nach Berlin zu fliegen.
Jetzt, nach - sage und schreibe - vier
Monaten und etwa 1100 Euro für sämtliche Kosten, ist alles wieder gut. Die Krone sieht täuschend echt aus und hält die knusprigsten Baguettes aus. Made in Germany. Ich mag
zwar keine Klischees, aber ich muss das mal jetzt loswerden, liebe Franzosen:
Ihr könnt Käse, ihr könnt Wein, ihr könnt Filme. Eure Zahnärzte jedoch sind unmotivierte
Stümper, die wahrscheinlich trotzdem genug Geld für schnelle, deutsche
Sportwagen haben.