Donnerstag, 23. Februar 2012

Strippen mit Herz




Eine Art Theater
Meine Mitbewohnerin Maja fragte mich gestern, ob ich abends schon etwas vorhabe. Das war nicht der Fall und so nahm sie mich mit zu einer "Art Theater", wie sie ankündigte. Ich muss zugeben, dass ich kein fanatischer Anhänger der Theaterszene bin, habe selten Stücke erlebt, bei dem ich nicht ständig auf die Uhr geschaut und am Ende begeistert geklatscht habe. Nicht wegen der Schauspieler, die mir viel zu oft, das Kinn in die Höhe gereckt, auf die Bühne geschritten kamen, sondern eher, weil ich mich gefreut habe, dass sie es endlich geschafft hatten. Ich lasse mich in diesem Punkt gerne als Banausen titulieren.
Neulich habe ich mich bei einem Essen mit Maja und ihren Freunden selbst ins Abseits geschossen, als ich herauspolterte, dass ich zeitgenössischen Tanz nur schwer ertragen kann. Hätte ich gewusst, was ich damit anrichte. Alle, die mit am Tisch saßen, hatten irgendwann mal irgendwas mit Schaupielerei zu tun und diese Art des Tanzes ernsthaft praktiziert.
Es gab einen Moment der Stille. Dann wurde ich Zielperson einer Gehirnwäsche, die fünf Personen um mich herum vornahmen. Meine Ablenkungsversuche, die aus Weineinschenken und Käseanbieten bestanden, brachten das Kommando nicht von dem Versuch ab, mir die Raffinessen, Schönheiten und vielfältigen Möglichkeiten dieser Kunst weitschweifig zu erklären.  

Zurück zum gestrigen Theater-Abend. Meine Mitbewohnerin Maja verwendete den Ausdruck burlesque (gespr.: bürlesk) bei der Beschreibung der Vorstellung. Kam mir bekannt vor. Ich schaute im Internet nach und fand die Übersetzung: "burlesk". Aha. Und irgendwo noch den Begriff possenhaft. Schließlich rückte Maja endlich raus mit der Sprache und sagte, dass es sich um eine Striptease-Veranstaltung handele und der Eintritt gratis sei. Ne amüsante Stripp-Show für Umme also. "Bin dabei", sagte ich.
Maja erklärte mir auf dem Weg, dass es sich nicht um professionelle Tänzer handelte, sondern um Frauen, die das als Hobby betreiben. Wunderbar, dachte ich. Exibitionistische Hausfrauen. Wieder kann ich eine echte Pariser Erfahrung sammeln. Schließlich wurde am Fuße des Montmartre Anfang des 19. Jahrhunderts von Wäscherinnen das professionelle Ausziehen erfunden. Quietschende Frauen in Rüschenunterhosen, die ihre Röcke schwangen und sich so ihr Gehalt aufbesserten. Nun erlebe ich die Weiterentwicklung der Cancan-Tradition. Das Moulin Rouge hat ausgedient. Die Subkultur des Varieté findet in Pariser Hinterhöfen statt! 
Wir kamen 20 Minuten zu spät. Die kleine Bühne befand sich im schummrigen Keller der Bar und die zweite Akteurin des Abends war gerade wieder in der Garderobe verschwunden. Wir sahen noch nichts aber hörten schon alles. Das Publikum bestand aus nicht mehr als zwei Dutzend Leuten aber die kreischten und johlten für 300.
Ich habe in Deutschland schon ein paar Mal Striptease-Tänzerinnen bei der Arbeit gesehen. Die waren immer bildschön, hatten einen makellosen Körper und ließen alle Hüllen fallen. Das hier war etwas anderes. Die Frauen hatten teilweise nicht jene Idealmaße, die man Stripperinnen attestieren möchte. Manchmal hakte etwas im Rhythmus, der Strumpf rutschte nicht so leicht wie gedacht von der Wade oder es gab eine Balancestörung. Das war dann unfreiwillig komisch. 
Balance-Akt: Strumpf hinterm Rücken ausziehen


Doch das Publikum klatschte und spornte die Tänzerinnen noch mehr an. Der Tanz war um einiges ausdrucksstärker als das, was ich mal bei der Geburtstagsfeier eines Freundes als Strip-Akt erlebt habe. Das hier war Strippen mit Herz. Im Gegensatz zum herkömmlichen Profi-Ausziehen wurde sich hier auch nicht komplett entkleidet. Die Höschen blieben an und die Brustwarzen waren mit Bommeln, Blüten, Herzchen oder anderen Accessoires beklebt. Meinen Recherchen zufolge handelt es sich um den gleichen Klebstoff, mit dem man künstliche Bärte befestigt.
Ulala und Aiaiai

Die Stimmung in dem kleinen Keller war nicht zu toppen. Jede noch so kleine Andeutung, jedes abgestreifte Strumpfband, jeder geöffnete Knopf wurde mit einem Jauler, einem Pfeiffer, einem Schrei, einem Ulala, einem Aiaiaiiii oder einfach nur Klatschen honoriert. Das, was Frauen (offiziell) auf der Straße verabscheuen, war hier ausdrücklich erwünscht. Und am Ende jeder Nummer folgte ein tosender Applaus. Später sah ich, dass die Partner von zwei der Tänzerinnen im Publikum saßen. Sie verhielten sich zurückhaltender und beobachteten die anderen Gäste ein wenig argwöhnisch. 
Der eine hielt seine Freundin unentwegt auf der Kamera fest. Womöglich werten die beiden es später gemeinsam aus. Eine Erfahrung, die nicht viele Paare teilen können.
Ich fragte mich, was genau die Motivation der Frauen sein mag, sich vor anderen Leuten zu entblößen. Maja, die Schauspielerin, sagt, dass es einfach ein tolles Gefühl sei, wenn man auf der Bühne steht, und für das, was man macht, Applaus erntet. Nimmt man den Beifall in der kleinen Kellerbar zum Maßstab, muss dies ein höllischer Kick für die Damen sein.

Resümee: Ich mag also keinen modernen Tanz, habe aber Spaß, wenn sich Hausfrauen nach Musik und vor kreischendem Publikum ausziehen. Muss ich mir ernsthaft Gedanken über mein Niveau in punkto Kultur machen?
Vielleicht sollte ich eine Striptease-Bar eröffnen. Oder mal einen Volkshochschulkurs im zeitgenössischen Tanz besuchen. Oder beides miteinander verbinden. Schreckliche Vorstellung.


Mehr Fotos unter:  http://www.flickr.com/photos/awilhelm/6923134001/in/photostream/lightbox/




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