Samstag, 16. Juni 2012

Zurück auf Anfang

Die Zeit in Paris ist fast rum, die letzten Prüfungen und Präsentationen sind gegessen und ich habe noch etwas mehr als eine Woche zu verdallern bis zu meiner endgültigen Rückkehr nach Berlin. Ein komisches Gefühl macht sich in mir breit, das wohl nur alle die nachvollziehen können, die schon einmal länger an einem anderen Ort gelebt haben. Man könnte es als eine Mischung aus Wiedersehensvorfreude (Berlin) und Abschiedsmelancholie (Paris) umreißen, wobei die Vorfreude, zumindest in den letzten Tagen, weit vorne lag. Ich bin mir nicht sicher, wie sich das in den kommenden Tagen entwickeln wird.
Jedes Mal, wenn ich dieses Dokument öffne, stechen mir die Zeilen ins Auge, die ich ganz am Anfang hier in Paris geschrieben habe. "Was habe ich mir bloß dabei gedacht?" steht da als allererster Satz vom 2. August 2011. Ich war wohl nicht ganz sicher. 
Ich kann mich erinnern, dass ich nach meiner Ankunft müde war, ein Schläfchen auf dem Bett in dem Durchgangszimmer gemacht habe und aufgewacht bin, als wenn jemand die Reset-Taste gedrückt hat. Keine Beziehung. Keine Freunde. Alles auf Anfang.
Ich suchte Zerstreuung im Internet, meinem letztmöglichen Kontaktmedium zu mir bekannten Leuten. Kein Internet.
Die Einsamkeit hat nicht lange angehalten. Louiza, meine Vermieterin, stellte sich bald als lebenslustige Frau heraus, die in ihrer Küche gerne mal nach Jazzmusik tanzt. Die Durchgangssituation war nicht sehr störend, denn Louiza war tagsüber kaum zuhause und ansonsten äußerst rücksichtsvoll.
Trotzdem nahm ich die erste Gelegenheit war und zog ins 18. Arrondissement zu Maja. Ich habe extrem entgegengesetzte Eindrücke aus diesem Viertel mitgenommen:
Das Zimmer winzig - aber mein eigenes Reich im sechsten Stock - mit Blick über die Zink-Dächer. Aber auch auf die Straße, wo Crack geraucht wurde. Es war toll, das rege Leben in der Marktstraße zu beobachten, von der ich am Anfang noch dachte, ich müsste meine Taschen zunähen, bevor ich sie betrete. Später grüßte ich die Händler frühmorgens, wenn ich zur Uni ging und sie ihre Schweinhälften zersägten oder Fische auf Eisberge drapierten. Jeden Abend jedoch verliert dieser Platz seinen Charme, indem er sich in eine Müllhalde verwandelt, an der dicke Nutten posieren.
Ich lief nachts mit starrem Geradeaus-Blick an der Gruppe junger Männer vorbei, die allesamt ihre dunklen Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten. Immer die Geschichte von Maja im Hinterkopf, als sie wegen ihres Iphons überfallen wurde. "Bonsoir Messieurs", war das einzige, was mir einfiel.

Der immer gut duftende Friseur.

Ich hatte Muffensausen am Geldautomaten, besonders, wenn ich die 500 Euro für die Miete abheben musste. Aber ich liebte das Kramen in den Allerlei-Geschäften oder die Momente in dem rumpligen Friseurladen mit seinen 80er-Jahre-Frisur-Fotos, wo mir ein alter, schnurbärtiger, immer gut duftender Marokkaner mit Leidenschaft und Ruhe die Haare schnitt. Es war deprimierend, mit anzusehen, wie jeden Tag der ganze Straßen-Müll mit Unmengen Wasser in die Gullys gespült wird. Aber der arabische Sandwich-Laden schräg gegenüber hat den leckersten, größten Truthahn-Kebab gemacht - zusammen mit Pommes und Getränk für fünf Euro.
Und Maja? Tja, Maja ist schon echt ne Nette. Aber wir haben, gelinde gesagt, unterschiedliche Auffassungen, was die häusliche Ordnung angeht.
Deshalb zog ich noch Mal um. Vom 18. in den 16. Von Neukölln nach Dahlem, könnte man übersetzen. Jetzt sind meine Nachbarn Snobs statt Junkies. Weiße Elite-Schule statt Afrika-Markt. Kellner im Frack statt zahnlose Fischverkäufer an der Ecke. Geschminkte Bäckerinnen-Schönheiten anstatt Auslagen mit Tier-Gedärmen. 
Jeder, der mich nun nach meinem Wohnort fragt, zieht die Augenbrauen hoch und sagt: Oho, der feine Herr Student, wohl im Lotto gewonnen? Dabei hat mein Zimmer jetzt mehr Quadratmeter für den gleichen Preis. Und nicht zuletzt sehe ich von meinem Fenster aus den Eiffelturm. Abends zu jeder vollen Stunde schillernd. So wusste ich immer am Schreibtisch, dass ich schon wieder eine Stunde gearbeitet hatte und wann die Nachtschicht anfängt.
Ich bin zwei Mal umgezogen in der Zeit, obwohl ich mir am Anfang so viele Sorgen gemacht habe, überhaupt eine Unterkunft zu kriegen. Und in zehn Tagen werde ich also zum letzten Mal die lebensgefährliche Wendeltreppe mit ihren 124 Stufen hinunter steigen (mit drei großen Gepäckstücken), mit dem Bus zum Bahnhof fahren und 12 Stunden später in Berlin aussteigen. Wie werde ich dann wohl aufwachen?

Mittwoch, 16. Mai 2012

Die Zahnkronen-Odyssee

oder:
Meine Abrechnung mit französischen Dentisten

Ein langes, grausliches Kapitel ist zu Ende. Nein, ich meine nicht die Regentschaft von Nicolas Sarkozy. Aber ungefähr genau so unangenehm. Ich habe gerade die Rechnung über den Eigenanteil meiner Zahnkrone bekommen. 420 Euro. Das knallt rein. Besonders, wenn man Student in Paris ist, wo einem sowieso schon das Geld aus der Tasche gezogen wird, wenn man nicht aufpasst. 
Dieser Zahn. Ich fang mal von vorne an: Ich war zehn Jahre alt, als ich mir beim Judo mit meinem eigenen Knie den halben Schneidezahn weggekickt habe. Das war eine Tragödie für einen Jungen, der bald in die Pubertät kommt. Denn die Zahnersatzkosmetik war zu DDR-Zeiten nicht die fortgeschrittenste. Und so hatte ich immer einen komischen Fremdkörper im Mund. Da wo andere Leute ein lupenreines Lachen vorweisen konnten, hatte ich einen graugelben Fleck. 
Der geniale Künstler
Die Kronen, die ich im Laufe der Zeit hatte, wurden zum Glück immer unauffälliger. Vor einigen Jahren setzte meine Zahnärztin in Kooperation mit einem sehr guten Zahntechniker meinem Zahnkomplex schließlich einen Schlussstrich. Dieser Künstler gestaltete einen wunderbaren Schneidezahn aus Keramik, der sogar Schattierungen und Aufhellungen der Nachbarzähne enthielt. Ich war so glücklich.

Bis zu dem verregneten Freitag im Dezember, als ich hier in Paris, Kaugummi kauend von der Hochschule zur Metro ging. Da machte es Knack im Mund und ich verspürte dieses unangenehme Gefühl, dass sich an meinem Schneidezahn etwas gelöst hatte. Warum jetzt? Warum hier?
Ich suchte am nächsten Tag eine Pariser Notfallpraxis auf. Ich konnte ja nicht wochenlang auf einen Termin wartend mit einem Loch im Mund herum laufen. Zumal Prüfungen vor der Tür standen. Und ich wollte unbedingt die Situation vermeiden, dass ich mein Projekt präsentiere, und mir alle auf den Mund starren? 
Mein erster Weg führte mich in eine schicke Praxis in St. Michel mit riesigem Empfangs-Tresen und einem Dutzend Kabinetten. Die Röntgenaufnahme war Pflicht und kostete 90 Euro. Das Wiederankleben der Krone hingegen nur 25 Euro. "Sie müssen jetzt aber aufpassen beim Beißen", sagte die Ärztin. Ich kam mir vor wie mein eigener Opa, war aber froh. Nicht lange. Drei Wochen später - Knack - stand ich wieder in der Praxis. Diesmal nahmen sie besseren Kleber. Der geschniegelte, junge Zahnarzt konnte zwar nett lächeln. Und es war auch kostenlos wegen der Garantie. Doch nach wenigen Wochen - Knack -  das selbe. Abermals legte ich die halbe Krone auf den Tresen. Der arrogante Empfangschef, der es wahrscheinlich nicht geschafft hatte zum Dentisten, ließ mich diesmal allerdings abblitzen. Er meinte, dass sie nicht das richtige Material hätten. Ich müsse jetzt woanders hingehen. Ich konnte ihm ansehen, dass er lügt. Er hat erkannt, dass sie mich nicht weiter ausbeuten können, weil ich immer wieder als Garantiefall kommen würde.
Die nächste Klinik in der Nähe von St. Lazare war durchgestylt wie ein Design-Kaufhaus. In der Eingangshalle: Eine Monitorwand, größer als die von Montgomery Burns. "Das kostet hundert Euro und wir übernehmen keine Garantie", sprach die Empfangsdame. Ich akzeptierte. Über den Behandlungsstühlen waren waagerecht Bildschirme angebracht, die (wahrscheinlich zur Beruhigung) Naturfilme zeigten. Ich sah ein Walross, das einen Pinguin zerfleischte, während die Ärztin mit ihrem Fingern in meinem Mund wartete, bis der Kleber trocknet. Dafür hat es auch etwas länger gehalten.
Bis zu dem Tag im Skiurlaub, den ich mit Studenten meiner Uni verbrachte. Voilà. Da war es wieder. Abends beim gemütlichen Zusammensein verspürte ich wieder das Gefühl mit der Zungenspitze, dass etwas lose ist, was eigentlich fest sein sollte. Meine Güte. Die Menschheit schleudert Satelliten ins Weltall, die Jahrzehnte lang Informationen aus den letzten Winkeln des Universums senden. Aber sie soll es nicht schaffen, so ein Stück Keramik anzukleben? Ich traf zwei Entscheidungen: 1. Sekundenkleber kaufen und selbst machen. 2. Meine Zahnärztin Frau Meese in Berlin anrufen, hinreisen, machen lassen. Frau Meese verbot mir den Sekundekleber und so lief ich die folgenden Tage im Skiurlaub mit einer Unterschichten-Zahnlücke rum.
Dann wollte ich nach Berlin fliegen. Ich wollte. Ich hatte kein Internet im Ski-Urlaub. Also bat ich eine Bekannte darum, mir den Flug zu buchen. Ich sag nicht, wer es war. Nur so viel: Sie hat es verkackt. 
An die Fahrt zum Flughafen will ich gar nicht denken. Denn vor sechs Uhr fahren nur Nachtbusse. Eine Umsteige-Orgie, die schließlich damit endete, dass ich um 5.30 Uhr am Gare de Lyon herum rannte und erfolglos nach einem Flughafenzubringer suchte. Jeder sagte etwas anderes. Manche gar nichts. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen Penner mit Zahnlücke. Also Taxi. Noch Mal 30 Euro weg - aber ich war pünktlich am Airport. Der Typ hinterm Check-In-Schalter von Easyjet schaute verdutzt. Erst auf meinen Ausweis, dann auf seinen Bildschirm, dann auf meinen Ausweis, dann auf seinen Bildschirm. "Einen Passagier mit diesem Namen haben wir nicht!"
Meine Bekannte hatte zwar meinen Vornamen - jedoch ihren Nachnamen bei der Buchung im Internet angegeben. Ich versuchte noch alles mögliche, vom Betteln bis zum Fluchen, bei drei verschiedenen Easyjet-Angestellten. Ich prallte ab, wie ein Flummy auf Panzerglas. Ich konnte noch nicht Mal meinen Flug neu zu erwerben. Der Platz hätte ja jetzt frei sein müssen. "Leider schon verkauft", sagte der Easyjetter.
Schließlich saß ich auf einer Bank und sah den übrigen Fluggästen beim Einchecken zu. Mit gepacktem Koffer, einem 240 Euro teuren, ungültigen Ticket und einer Zahnlücke. Liebes Leben, danke -  für all deine Gaben.
Ich bekam ein paar Tage später einen Termin in Paris bei einer "richtigen" Zahnärztin, die aus Schweden stammt. Sie hat es geschafft, die Krone vernünftig zu befestigen. Wenigstens so lange bis ich wieder Zeit hatte, nach Berlin zu fliegen.
Jetzt, nach - sage und schreibe - vier Monaten und etwa 1100 Euro für sämtliche Kosten, ist alles wieder gut. Die Krone sieht täuschend echt aus und hält die knusprigsten Baguettes aus. Made in Germany. Ich mag zwar keine Klischees, aber ich muss das mal jetzt loswerden, liebe Franzosen: Ihr könnt Käse, ihr könnt Wein, ihr könnt Filme. Eure Zahnärzte jedoch sind unmotivierte Stümper, die wahrscheinlich trotzdem genug Geld für schnelle, deutsche Sportwagen haben.

Sonntag, 29. April 2012

Dies und das im Vergleich


Gerade habe ich mich an Paris gewöhnt, kann man sagen, da hat mich Berlin wieder gepackt.
Ich komme gerade aus den Osterferien zurück, die ich in Berlin verbrachte. Ich saß am Helmholtzplatz in einem Café und fühlte mich wie im Griechenland-Urlaub (mal abgesehen davon, dass es vielleicht dort aktuell nicht so entspannt zugeht). Es war eine Stimmung, die mich an Weltfrieden glauben ließ. Das Licht der Abendsonne, die Luft, das Vogelgezwitscher in der verkehrsberuhigten Zone, alle Leute waren irgendwie so gelöst. Ich konnte in diesem Moment kaum glauben, dass im europäischen Vergleich ausgerechnet Deutschland am wenigsten von der Krise geschüttelt sein soll, wo doch alle so lari-fari vor sich hinexistieren. Ich glaube, am Sonnabend am Helmi hatte ich zum ersten Mal nach acht Monaten wieder dieses Gefühl von Abschaltenkönnen. 
Einen Platz mit dieser Art von Freiheit habe ich in Paris noch nicht gefunden. Dennoch: Vor etwa  drei Wochen habe ich zum ersten Mal daran gedacht, dass ich auch traurig sein werde, wieder aus Paris weg zu gehen. Es lässt sich schwer beschreiben, was diese Stadt so ausmacht. Bei Berlin ist es einfacher. Berlin ist relaxed. Es gibt genügend Platz und Grün. Alle sind so locker, und leben in den Tag hinein. Wenn ich im Mauerpark bin, frage ich mich zum Beispiel, ob überhaupt jemand von den tausenden Leuten es nötig hat, einer ernsthaften Beschäftigung nachzugehen. 
Von Entspanntheit kann man in Paris nicht wirklich reden. Wer ans Ziel kommen will, muss drängeln. Wer überleben will, muss ruhig bleiben. Wer ruhig bleiben will, muss ignorieren. Wer sich über Ignoranten aufregt, stirbt hier den frühen Herztod. Also: Ruhig bleiben, bestimmte Sachen ausblenden. Zum Beispiel meine Nachbarn, die ich öfter mal (wie auch jetzt) ausblenden muss. Nach meiner Ankunft heute vormittag habe ich noch die letzten zwanzig Minuten des wöchentlichen Familiendramas mitbekommen. Die Sparsamkeit der Wandstärke und die Streitkultur der Familie lässt mich praktisch mit am Tisch sitzen. Wenn diese Leute sich nicht anschreien, gibt es laute Musik. Oder beides. Als ich hier eingezogen bin, war ich noch motiviert, auf mein Recht zu pochen. Mein Recht, ja schließlich auch hier zu leben und auf meine Ruhe. Heute kann ich mir selig lächelnd die Kopfhörer überstülpen und denken: Was raus muss, muss raus!

Was das Entspannen angeht, empehle ich zwei Plätze: Den Bois de Boulogne im Westen der Stadt und den Jardin du Luxembourg ziemlich zentral gelegen. Beides schöne Parks, aber zu klein für die Menge an Parisern. Wenn die Sonne rauskommt reisen die Massen in Scharen an und entdecken plötzlich ihr Herz für den Sport. Die Wohlsituierten streiten sich in ihren dunklen Geländewagen um die Parkplätze, damit sie nicht so weit zum Jogging laufen müssen. Sportleggins in allen Farben säumen die Seen.
Und im Jardin du Luxembourg muss man mit hunderten Anderen Jagd auf einen der metallenen Stühle machen, damit man Entspannung leben kann. Ich beobachte dann, dass einige am besten entspannen, wenn sie drei Stühle okkupiert haben, zum Ablegen der Beine und der Louis-Vuitton-Tasche, während andere kopfkratzend nach einer bescheidenen Sitzgelegenheit suchen.
Dennoch: Paris hat auch etwas Liebenswertes, das man in Berlin nicht findet. Man kann der Hektik in der Tat etwas Gutes abgewinnen. Das macht die Seele der Stadt aus. Ein so aufregendes Gewimmel an einer Umsteige-Metrostation ist jedes Mal wie ein Natur-Schauspiel.  Ich habe noch nie zwei Menschenmengen über Kreuz reibungslos durcheinander hindurch laufen sehen. Ein heilloses Durcheinander, das funktioniert. Dieses Ereignis wurde in noch keinem Reiseführer erwähnt. Also mach ich es: Metro-Station Les Halles gegen 18 Uhr. 
 Es gibt außerdem mehr Internationalität in der Stadt, mehr Farben, mehr Sprachen und niemand achtet auf die Lautstärke, mit der er spricht. Das ist wahrhaft metropol. Selbst die Ignoranz hat etwas bewundernswertes, denn sie ermöglicht es überhaupt erst den Parisern, ihren Käse, ihren Wein oder ihren Kaffee zu genießen. 
Ich wage außerdem zu behaupten, dass sich die Menschen hier, ob Mann oder Frau, schicker kleiden. Nichts gegen den etwas punkigen Berlin-Style. Neulich sagte mir jemand, dass man den Deutschen im Ausland immer an seinen praktischen Schuhen und seiner Jack-Wolfskin-Jacke erkennt. Ich habe mal drauf geachtet. Jack Wolfskin oder North-Face. Hauptsache praktisch. Ich persönlich habe beim Shoppen in Berlin immer das Gefühl, in eine Schublade mit vielen anderen Leuten zu passen. Und wenn man was Besonderes haben will, muss man tief in die Tasche langen. Mein Lieblings-Jackett habe ich hier auf dem Flohmarkt für 12 Euro erstanden. In Berlin in der Kastanienallee habe ich vergangene Woche ein ähnliches für 237 Euro gesehen. Frage: Wer will mit mir in Berlin ein Pariser Modegeschäft aufmachen? Ich würde das Reisen übernehmen.

Freitag, 16. März 2012

Von der Liebe Teil I


Etwas in mir rät mir, dieses Thema zu lassen. Nein, schreib es nicht, sagt diese Stimme, das gibt nur Ärger. Im Ärger kriegen bin ich gut.
Es geht um das Thema Liebe und das, was ich auf diesem Gebiet erlebt und gehört habe. Aber bitte keine Hoffnung (bzw. Angst) machen. Ich werde mitnichten irgendwelche erotischen Erlebnisse beschreiben. Lediglich ein paar Erfahrungen, die mich verwundert haben.
Bevor ich nach Paris kam, machte ich mir kein Bild von der Liebe in Frankreich. Ich kam als Single her und war für alles offen. Ein Bekannter sagte mir, ich solle aufpassen, die Pariserinnen seien heiß. Ich hätte genauer nachfragen sollen, was er damit gemeint hat. Aber wenn es das ist, was ich verstanden habe, sind die heißen Pariserinnen immer da wo ich nicht bin. Mit Sicherheit liegt das aber am Alter. Ich studiere schließlich hier und habe selten mit Frauen zu tun, die ungefähr mein Alter haben. Fast alle von den Studentinnen hier könnte ich theoretisch gezeugt haben (wenn ich mich angestrengt hätte). Die Frauen in der Hochschul-Verwaltung, die ich hin und wieder treffe, sind hingegen schon wieder etwas älter als ich. Einige sind zwar nicht abgeneigt, wie ich das so erkenne. Aber vielleicht nicht ganz mein Fall.
Aber es soll erstmal nicht um mich gehen.
Meine liebe, gute Freundin Leila ist verheiratet. Schon ziemlich lange. Sie ist Algerierin und ihr Mann Mathieu ist Afrika-Spezialist. Er lebt in Südafrika und sie hier. Er liebt sein Johannesburg und sie liebt Paris. Ich hatte mich erst gewundert, wie so eine Extrem-Fernbeziehung funktionieren kann. Mathieu kommt etwa zwei bis drei Mal im Jahr nach Paris, räumt seine Bücher um, klappert ein paar Freunde und Kneipen ab, erledigt ein paar Behördengänge, geht zum Friseur und fliegt dann wieder.  
Dann redete Leila einmal von einem anderen Mann: Jean-Michel. Sie erzählte mir, dass er ihre große Liebe sei, redete von Schicksal, von zwei Teilen, die ein Ganzes ergeben. Ich verstand noch nicht so gut französisch und daher sehr langsam. Es passte nicht. Ich dachte: Entweder sie oder ich verwechsle jetzt die Namen der beiden Männer. Sie bemerkte meinen fragenden Blick. "Der in Südafrika lebende Mathieu ist mein Mann und Jean-Michel ist mein Freund." Ich war ein bisschen enttäuscht. Leila kam mir so anständig vor. Dann erfuhr ich, dass ihr Ehemann Mathieu mit Frauen in Südafrika ausgeht, die seine Enkelinnen sein könnten und dann Leila anruft, um ihr davon zu berichten. "Sodom und Gommorrha", würde die alte Frau Kling empört ausrufen. Doch Leila und Mathieu haben sich arrangiert. Er hat seine Farm mit jungem Gemüse in Afrika und sie ihr Leben und ihre Liebe hier in Paris. Als ich mich gerade an den Gedanken gewöhnt hatte, kam der nächste Hammer. Jean-Michel hat eine Freundin, erzählte Leila. Ja klar hat er eine Freundin, sagte ich. Dich. NEIN, sagt sie. Er habe seit Jahren eine Partnerin, mit der er auch zusammen lebt. Und die weiß nicht mal was davon, dass sich Leila und Mathieu seit immerhin schon anderthalb Jahren treffen. Übrigens: Immer nur vormittags, maximal bis um zwei haben die beiden Zeit, sich zu lieben.
Abends muss Jean-Michel zuhause sein. Leila ist sozusagen seine Vormittagsfreundin. Irgendwie tut sie mir leid. Aber sie selbst sagt, dass sie sich sehr wohl fühlt. Sie habe noch keine feste Beziehung geführt, bei der ihr der Mann so viel Aufmerksamkeit geschenkt habe. Und wenn sich Jean-Michel von seiner Partnerin trennen würde, um mit ihr zusammen zu leben -  sie wisse nicht genau, ob sie dies wolle, sagt Leila.
Und ich weiß nicht genau, wie ich darüber denken soll. Ich würde ja noch verstehen, wenn es Jugendliche wären. Da sind solche Dummheiten, denke ich, verzeihlicher. Aber die drei Teilnehmer dieser Triangel sind alle deutlich über fünfzig. Neulich war Jean-Michel im Urlaub mit seiner richtigen Freundin. Er hat öfter mal angerufen und Leila gesagt, wie sehr er sie vermisst. Ich habe ihn mir folgendermaßen vorgestellt. Auf einer Restaurant-Toilette sitzend, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, flüstert er in sein Handy, wie sehr er Leila vermisst. Und dann geht er wieder zurück an den Tisch und gibt seiner richtigen Freundin einen Kuss. 
Und dann kommt Ilse Kling mit Wischmob ins Bild: "Iah werdets alle in der Hölle schmoan!"  



Anm.: Namen (außer der von Frau Kling) sind geändert. 

Donnerstag, 23. Februar 2012

Strippen mit Herz




Eine Art Theater
Meine Mitbewohnerin Maja fragte mich gestern, ob ich abends schon etwas vorhabe. Das war nicht der Fall und so nahm sie mich mit zu einer "Art Theater", wie sie ankündigte. Ich muss zugeben, dass ich kein fanatischer Anhänger der Theaterszene bin, habe selten Stücke erlebt, bei dem ich nicht ständig auf die Uhr geschaut und am Ende begeistert geklatscht habe. Nicht wegen der Schauspieler, die mir viel zu oft, das Kinn in die Höhe gereckt, auf die Bühne geschritten kamen, sondern eher, weil ich mich gefreut habe, dass sie es endlich geschafft hatten. Ich lasse mich in diesem Punkt gerne als Banausen titulieren.
Neulich habe ich mich bei einem Essen mit Maja und ihren Freunden selbst ins Abseits geschossen, als ich herauspolterte, dass ich zeitgenössischen Tanz nur schwer ertragen kann. Hätte ich gewusst, was ich damit anrichte. Alle, die mit am Tisch saßen, hatten irgendwann mal irgendwas mit Schaupielerei zu tun und diese Art des Tanzes ernsthaft praktiziert.
Es gab einen Moment der Stille. Dann wurde ich Zielperson einer Gehirnwäsche, die fünf Personen um mich herum vornahmen. Meine Ablenkungsversuche, die aus Weineinschenken und Käseanbieten bestanden, brachten das Kommando nicht von dem Versuch ab, mir die Raffinessen, Schönheiten und vielfältigen Möglichkeiten dieser Kunst weitschweifig zu erklären.  

Zurück zum gestrigen Theater-Abend. Meine Mitbewohnerin Maja verwendete den Ausdruck burlesque (gespr.: bürlesk) bei der Beschreibung der Vorstellung. Kam mir bekannt vor. Ich schaute im Internet nach und fand die Übersetzung: "burlesk". Aha. Und irgendwo noch den Begriff possenhaft. Schließlich rückte Maja endlich raus mit der Sprache und sagte, dass es sich um eine Striptease-Veranstaltung handele und der Eintritt gratis sei. Ne amüsante Stripp-Show für Umme also. "Bin dabei", sagte ich.
Maja erklärte mir auf dem Weg, dass es sich nicht um professionelle Tänzer handelte, sondern um Frauen, die das als Hobby betreiben. Wunderbar, dachte ich. Exibitionistische Hausfrauen. Wieder kann ich eine echte Pariser Erfahrung sammeln. Schließlich wurde am Fuße des Montmartre Anfang des 19. Jahrhunderts von Wäscherinnen das professionelle Ausziehen erfunden. Quietschende Frauen in Rüschenunterhosen, die ihre Röcke schwangen und sich so ihr Gehalt aufbesserten. Nun erlebe ich die Weiterentwicklung der Cancan-Tradition. Das Moulin Rouge hat ausgedient. Die Subkultur des Varieté findet in Pariser Hinterhöfen statt! 
Wir kamen 20 Minuten zu spät. Die kleine Bühne befand sich im schummrigen Keller der Bar und die zweite Akteurin des Abends war gerade wieder in der Garderobe verschwunden. Wir sahen noch nichts aber hörten schon alles. Das Publikum bestand aus nicht mehr als zwei Dutzend Leuten aber die kreischten und johlten für 300.
Ich habe in Deutschland schon ein paar Mal Striptease-Tänzerinnen bei der Arbeit gesehen. Die waren immer bildschön, hatten einen makellosen Körper und ließen alle Hüllen fallen. Das hier war etwas anderes. Die Frauen hatten teilweise nicht jene Idealmaße, die man Stripperinnen attestieren möchte. Manchmal hakte etwas im Rhythmus, der Strumpf rutschte nicht so leicht wie gedacht von der Wade oder es gab eine Balancestörung. Das war dann unfreiwillig komisch. 
Balance-Akt: Strumpf hinterm Rücken ausziehen


Doch das Publikum klatschte und spornte die Tänzerinnen noch mehr an. Der Tanz war um einiges ausdrucksstärker als das, was ich mal bei der Geburtstagsfeier eines Freundes als Strip-Akt erlebt habe. Das hier war Strippen mit Herz. Im Gegensatz zum herkömmlichen Profi-Ausziehen wurde sich hier auch nicht komplett entkleidet. Die Höschen blieben an und die Brustwarzen waren mit Bommeln, Blüten, Herzchen oder anderen Accessoires beklebt. Meinen Recherchen zufolge handelt es sich um den gleichen Klebstoff, mit dem man künstliche Bärte befestigt.
Ulala und Aiaiai

Die Stimmung in dem kleinen Keller war nicht zu toppen. Jede noch so kleine Andeutung, jedes abgestreifte Strumpfband, jeder geöffnete Knopf wurde mit einem Jauler, einem Pfeiffer, einem Schrei, einem Ulala, einem Aiaiaiiii oder einfach nur Klatschen honoriert. Das, was Frauen (offiziell) auf der Straße verabscheuen, war hier ausdrücklich erwünscht. Und am Ende jeder Nummer folgte ein tosender Applaus. Später sah ich, dass die Partner von zwei der Tänzerinnen im Publikum saßen. Sie verhielten sich zurückhaltender und beobachteten die anderen Gäste ein wenig argwöhnisch. 
Der eine hielt seine Freundin unentwegt auf der Kamera fest. Womöglich werten die beiden es später gemeinsam aus. Eine Erfahrung, die nicht viele Paare teilen können.
Ich fragte mich, was genau die Motivation der Frauen sein mag, sich vor anderen Leuten zu entblößen. Maja, die Schauspielerin, sagt, dass es einfach ein tolles Gefühl sei, wenn man auf der Bühne steht, und für das, was man macht, Applaus erntet. Nimmt man den Beifall in der kleinen Kellerbar zum Maßstab, muss dies ein höllischer Kick für die Damen sein.

Resümee: Ich mag also keinen modernen Tanz, habe aber Spaß, wenn sich Hausfrauen nach Musik und vor kreischendem Publikum ausziehen. Muss ich mir ernsthaft Gedanken über mein Niveau in punkto Kultur machen?
Vielleicht sollte ich eine Striptease-Bar eröffnen. Oder mal einen Volkshochschulkurs im zeitgenössischen Tanz besuchen. Oder beides miteinander verbinden. Schreckliche Vorstellung.


Mehr Fotos unter:  http://www.flickr.com/photos/awilhelm/6923134001/in/photostream/lightbox/




Mittwoch, 4. Januar 2012

Vive la Fluppe!

Dieser Eintrag ist meiner Schwägerin gewidmet, die mich zu Weihnachten als schrullig bezeichnet hat, weil ich wollte, dass sie zum Rauchen vor die Tür geht. Deswegen und weil Silvester grade vorbei ist, Gute Vorsätze etc., schreibe ich heute über das Rauchen.
Die Franzosen sind ein Volk der Raucher. Praktisch jeder Franzose raucht. Rauchen gehört zum Guten Ton. Schon zur Geburt wird dem kleinen Franzosen eine Stange Gauloises in die Wiege gelegt. Den Mädchen die Roten und den Jungs die Blauen.

Es gibt auch keinen französischen Film, in dem sich nicht sämtliche Schauspieler andauernd eine Kippe in den Mundwinkel stecken. Ich sage nur: Michelle Piccoli. Der fällt mir als erster ein, weil er in einem Film mit Romy Schneider (wirklich) eine Kippe an der anderen angezündet hat. Neulich habe ich "Poulet aux prunes" gesehen, zu deutsch: Huhn mit Pflaumen. Ich erwartete einen lebensbejahenden Film mit kulinarischen Raffinessen. Auf der Leinwand sah ich dann einen depressiven Mann, der beschlossen hatte, zu sterben, weil seine Geige kaputt gegangen war.


Na gut. Abgesehen davon, dass ich dem Streifen jegliche Preise abstreite, die er gewonnen hat, muss ich einfach mal unterstellen, dass er von der Tabakindustrie finanziert wurde. Ungefähr 200 Zigaretten wurden in dem Film verqualmt. Wer weiß, wie viele Fluppen bei den Dreharbeiten drauf gegangen sind. Selbst die von mir verehrte Isabella Rossellini lässt es sich nicht nehmen, uns eine wahre Zigaretten-Ballade vorzuhauchen, in dem sie ihrem Filmpartner vorschwärmt, was für ein Genuss das Rauchen ist. Ich dachte, gleich schaut sie mit verführerischen Augen direkt in die Kamera und erinnerte den Zuschauer daran, dass er nach dem Kino erst mal schnell Eine durchziehen muss. Isabella, leider wird´s nun nix mehr mit uns!


Der Höhepunkt aber war der Film "La guerre est déclarée" (Der Krieg ist erklärt), in dem ein junges Paar den Kampf gegen den Gehirntumor seines dreijährigen Sohnes aufnimmt. Das hindert den Regisseur aber nicht daran, so viele Mitwirkende wie möglich während der gesamten Handlung paffen zu lassen. Ein Mann und eine Frau also, die während des Films gemeinsam ein paar Schachteln verdrücken und sich verzweifelt fragen: "Warum UNSER Sohn?"

Ausgerechnet in Berlin, wo ich zu Weihnachten war, wurde ich an die gute französische Seite erinnert, was das Rauchen betrifft. Ich wachte nämlich nach einer recht feuchtfröhlichen Nacht auf, griff zu meiner Hose, weil ich eine Milch kaufen wollte und musste feststellen, dass diese furchtbar nach Kneipe stinkt (die Hose). Mein Kumpel Thomas und ich hatten in zwei Bars gesessen. Wie gesagt: Berliner Bars. In beiden wurde ordentlich gepafft. War da nicht mal so was wie ein Rauchverbot?

In Paris habe ich noch nie in einer Kneipe gesessen und mich danach vor meinen Klamotten geekelt. Ich schaue mit Hochachtung und Dank auf unsere europäischen Nachbarn, in deren Bars nicht geraucht wird. Alle gehen artig nach draußen. Vive la France!
Neulich abend war ich in einem netten Lokal am Montmartre. Meine Begleiterin sagte, dass sie jetzt mal kurz vor die Tür gehe. In einem Journal stöbernd wartete ich auf ihre Rückkehr als ich feststellte, dass ich plötzlich der Einzige im Lokal war. Neben den etwa zehn Gästen waren nämlich auch der Barmann und der Koch auf der Straße und dampften. Ich hätte, wenn ich gewollt hätte, in aller Seelenruhe die Kasse ausräumen können. Ich musste kurz lachen.
Dann schaute ich durch die Fenster nach draußen auf die gesellig palavernden Raucher, wie sie gemeinsam schöne Rauchfahnen in die Abendluft pusteten. Und ich dachte: Vernunft macht manchmal ganz schön einsam. Isabella, ich gebe Dir noch eine Chance!

Tipp des Autors: Andreas Wilhelm hat nach 17 Jahren von einem auf den anderen Tag aufgehört und zwar mit Hilfe des Buches "Endlich Nichtraucher" von Allen Carr.

Mittwoch, 30. November 2011

Mit zwei Karten ein gemachter Mann

Eine der Sachen, die mich in Paris dauerhaft faszinieren, ist das Kino. Es ist so beliebt wie bei uns IKEA an einem Sonnabend-Vormittag. Zuweilen glaube ich, mich in den Anfangszeiten der Kinematografie zu befinden, so viele Menschen stehen an manchen Tagen an. Besonders schlimm ist es an und vor Feiertagen. Da werden die Leute unruhig, schubsen und es kann schon mal passieren, dass man keine Karte mehr bekommt. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir so etwas nach der Wende in Berlin passiert ist. Neulich war ich mit meiner Bekannten Sarah auf einen guten Film aus. Les Intouchables kam gerade neu in die Kinos. Eine ewig lange Schlange wartete schon vor dem Kinopalast Odeon. Und Sarah kam wie immer zu spät. Selbst die reservierten Karten wurden alle von ihren Käufern abgeholt. In Berlin wäre der Abend gelaufen. Man wäre stinkig auf dem Zuspätkommer und würde was trinken gehen.
Nicht so in Paris. Sarah kennt die Szene und will sogar Cinema studieren. Wortlos zwinkerte sie mir zu, lotste mich zu der nächsten Station der Leihfahrräder und wir waren in zehn Minuten beim nächsten Kino-Tempel. Die Vorstellung kam etwas später, wir waren drin und der Saal ebenfalls ausverkauft.
Zwei Dinge sollte man sich wirklich besorgen, wenn man länger in Paris bleibt. Ein Karte der Firma Velib (das sind die Leihfahrräder) und eine Jahres-Kino-Karte. Mit diesen zwei Karten ist man ein gemachter Mann und kann viele interessante Abende sehr preiswert verbringen.
Velib verlangt 35 Euro für ein Jahr. Zu diesem Tarif kann man sich die Räder der rund 4000 Stationen ausleihen und eine halbe Stunde am Stück benutzen. Gratis. Diese halbe Stunde sollte man einhalten, sonst wird´s teuer. Ich habe selbst mal die Erfahrung gemacht, weil die Station an der ich mein Rad angedockt hatte, irgendwie den elektronischen Funkcode nicht lesen konnte. Am nächsten Tag, als ich wieder ein Rad ausleihen wollte, wurde ich von dem Stations-Monitor darauf aufmerksam gemacht, dass ich noch ein Rad in Gebrauch habe. Was natürlich nicht stimmte, mir aber Angst machte, weil ich wusste, dass die Preise mit jeder halben Stunde nahezu potentiell steigen. Wenn mir meine Mitbewohnerin Maja nicht geholfen hätte, hätte ich über 200 Euro zahlen müssen. Die Firma konnte aber zum Glück nachvollziehen, welche Docking-Station eine Macke hatte.
Ein eigenes Fahrrad zu kaufen macht hier keinen Sinn. Nicht nur weil Velib so günstig ist und man innerhalb einer Stunde fast alles erreicht hat. Auch, weil ein eigenes Fahrrad in Paris nicht lange ein eigenes Fahrrad bleibt, sondern, wie mir hier jeder sagt, rasch den Besitzer wechselt. Sehr rasch. Wer Rad fährt in Paris sollte einen kräftigen Daumen haben und außerdem mutig sowie  sehr vorausschauend sein. Ich glaube manchmal, dass das Fahrrad noch etwas sehr exotisches ist hier. Die meisten Autofahrer zum Beispiel sind der festen Überzeugung, dass sich ein geradeaus fahrender Radler einem rechtsabbiegendem PKW unterordnen muss. Man erkennt das Gesicht eines ausländischen Radfahrers an einer Pariser Kreuzung schnell an den weit aufgerissenen Augen. Ach so: Den dicken Daumen benötigt man übrigens für den Dauerbetrieb der Klingel.

Die Kinokarte ist ungefährlicher, dafür etwas preisintensiver, lohnt sich aber. Ein einzelner Besuch in einem der rund 650 Filmtheater (Berlin hat an die hundert Kinos) kostet rund zwölf Euro. Die Magnetkarte "UGC-Illimité-Express" der Firma UGC (ein großer Kinokonzern) hingegen kostet pro Jahr (!) 25 Euro plus 18 Euro monatlich. Und dann kann man in den Kinos der UGC-Kette Filme schauen bis man rausgetragen wird. Das lästige Warten an der Kasse fällt weg, denn mit der Karte zieht man sich sein Ticket an einem Automaten. Zugegeben: An manchen Tagen stehen sogar Schlangen an diesen Maschinen.
Doch so manche Ausfallstunde der Uni habe ich schon vormittags in einem Kinosaal verbracht, in dem ein Dutzend Leute saß. Mein Stammkino unweit des Centre Pompidou zählt 20 Säle. Man hat keine Mühe, einen Film zu finden, der einen interessiert und innerhalb der nächsten 30 Minuten anfängt. Da fällt mir ein: Ich könnt schon wieder.